Im Februar 2014 richten Josef Wehner, Thorben Mämecke und ich in Bielefeld die Frühjahrstagung der Sektion Medien- und Kommunikationssoziologie der DGS aus. Als wir ihn schrieben, war das Problem der statistischen Kollektive nicht so im öffentlichen Bewusstsein wie heute, nachdem Daten, die Verfügbarkeit von Algorithmen und die Folgen von Metadaten es in den Spiegel, den Guardian und zu Illner geschafft haben. Hier ist der Call, wir freuen uns auf viele interessante Einreichungen!
„Making data count“ – Quantifizierung und Kollektivierung im Internet
Call for Papers der Sektion Medien‐ und Kommunikationssoziologie
Ort: Universität Bielefeld
Termin: 7./8.2 2014
In immer mehr gesellschaftlichen Bereichen werden wir mit Hilfe von Zahlen bzw. Statistiken über relevante Ereignisse und Entwicklungen informiert. Dass es hierbei selten um einzelne Objekte geht, sondern meistens um mehrere, die mit Hilfe ausgewählter Kriterien miteinander verglichen werden, zeigen so unterschiedliche Beispiele wie die Notenspiegel einer Schulklasse, Umfragen zu den Beliebtheitswerten von Politikern oder Bewertungen von Unternehmen. Viele Auswertungen gelangen nachträglich in die Medien und werden veröffentlicht. Das hat den Effekt, dass sich Beobachtungsräume bilden können, in denen die jeweils Beteiligten sich ausgehend von den zuvor ermittelten Unterschieden und Gemeinsamkeiten aufeinander beziehen können. In den Medien veröffentlichte Zahlensysteme unterstützen Prozesse der wechselseitigen Orientierung, des Wettbewerbs, der Angleichung und Optimierung.
Im Internet wird dieser Zusammenhang von Datenerhebung, Quantifizierung und Kollektivierung radikalisiert. Denn zu den besonderen Merkmalen des Internets gehören die Möglichkeiten der Verdatung und statistischen Analyse: Wer sich im Netz aufhält, hinterlässt eine Fülle von Datenspuren, die – ob einem das gefällt oder nicht – automatisiert gelesen und mit den Spuren vieler anderer Teilnehmenden verglichen werden können. Immer mehr Applikationen erfassen selbst flüchtige Aktivitäten wie das Anklicken einer Webseite, um mehr über Vorlieben, Interessen und Gewohnheiten der Netzteilnehmenden herauszufinden. Die Ergebnisse solcher Auswertungen dienen nicht allein der Verbesserung von Plattformen und Angeboten. Sie eröffnen darüber hinaus Prozesse der Selbst‐ und Fremdbeobachtung, erlauben Vergleiche zwischen eigenen und fremden Leistungen und unterstützen die Aufnahme von Beziehungen. In vielen Fällen stellen Möglichkeiten des Vergleichens und Konkurrierens sogar das eigentliche Angebot dar.
Bereits im Rahmen alltäglicher Recherchen im Netz wird die eigene Suche durch die Zwischenschaltung statistischer Programme mit dem Suchverhalten anderer Teilnehmenden vermittelt. Deshalb entsprechen Ergebnisse von Suchmaschinen nur vordergründig ausschließlich den persönlichen Interessen. Tatsächlich fließen in die Trefferliste immer auch die Auswertungen des Suchverhaltens vieler anderer mit ein. Was wir also im Netz zu sehen, zu hören oder zu lesen bekommen, teilen wir – meist unbemerkt und auf recht undurchsichtige Weise – mit anderen, die (statistisch ermittelte) ähnliche Informations‐ und Kommunikationsgewohnheiten aufweisen. Etwas offensichtlicher werden derartige, statistisch vermittelte Beziehungen dort, wo Daten zu persönlichen Vorlieben und Aktivitäten freiwillig weitergegeben werden. Ein Beispiel sind Online‐ Musikanbieter, die automatisiert individuelle Hörerstatistiken erstellen, welche auf der Plattform für andere sichtbar sind und die für mediale Selbstdarstellungen genutzt werden können. Andere Beispiele finden sich im Gesundheits‐ und Fitnessbereich. Hier dienen entsprechende Webseiten der Verwaltung von Trainingsdaten. Oder es sollen gleich alle, über den Tag verteilten Aktivitäten tagebuchartig protokolliert und verwaltet wer‐ den. So unterschiedlich diese Angebote im Einzellfall auch sein mögen – sie alle verwen‐ den statistische Verfahren, um Vorlieben, Leistungen, Gewohnheiten und Interessen beobachtbar und vergleichbar zu machen. Die Beteiligten können sehen, was andere gesehen, gehört, gekauft, geleistet haben, und können sich innerhalb funktional differenzierter Kontexte wie Konsum, Gesundheit oder Unterhaltung positionieren, Lerneffekte erzielen, Verschlechterungen wie Verbesserungen an sich selbst (im Geschmack, in der Fitness, im Zeitmanagement) feststellen, sich mit anderen vergleichen und „messen“ sowie Anhaltspunkte für persönliche Verbesserungen gewinnen.
Aus Sicht der Medien‐ und Kommunikationsforschung verbinden sich mit diesen Entwicklungen besondere Fragen und Herausforderungen. Darunter auch die folgenden:
- Inwieweit müssen medien‐ und kommunikationstheoretische Selbstverständlichkeiten und Begriffe angepasst werden, um den Zusammenhang von Verdatungen und statistischen Analysen und Internetaktivitäten für das Zustandekommen kollektiver Beziehungen angemessen zu beschreiben?
- Wie kann das Verhältnis von Datenerhebungs‐ und Analysesystemen, von algorithmisierten Filter und Sortierhilfen einerseits und menschlichen Entscheidungen und Aktivitäten andererseits beschrieben werden?
- Welche Leitbilder, Normalitätsvorstellungen, Erwartungen werden durch die Teilnahmebedingungen und Datenauswertungen auf statistikbasierten Online‐Plattformen an die Teilnehmer gerichtet? Welche Vorzugsnutzungsformen sind den Plattformen und Seiten eingeschrieben?
- Wie werden die Ergebnisse der Datenanalysen auf den Webseiten sichtbar gemacht? Welche Codierungen, welche kategorialen Unterscheidungen, welche Darstellungsformate werden gewählt, um das jeweilige verdatete Geschehen (musikalische Vorlieben, körperliche Fitness usw.) in eine für die Teilnehmenden anschlussfähige Form zu übersetzen?
- Wie werden die Zahlensysteme und entsprechenden Aufbereitungen (Listen, Rankings, Kurven etc.) von den Teilnehmenden angeeignet? Welche Selbst‐ und Fremdverortungen spielen sich hierbei ein? Welche wechselseitigen Beobachtungsmöglichkeiten lassen sich feststellen?
- Wie könnten theoretische Angebote und empirische Forschungssettings aussehen, die sich auf die Herausforderung algorithmisierter Medienkommunikation einlassen?
Die Tagung soll dazu beitragen, einen Überblick über laufende empirische und stärker theorieorientierte Forschungen und Überlegungen zu der hier skizzierten Thematik und den damit verbundenen Fragestellungen zu gewinnen und diese in einen Austausch zu bringen.
Technische Universität Berlin: Jan‐H. Passoth
Vortragsvorschläge (Abstracts ca. 1 Seite) bitte bis zum 30.08.2013 an:
Sabine Adam, Fakultät für Soziologie, Universität Bielefeld,
Email: sabine.adam@uni‐bielefeld.de